Text Andacht                     

Andacht Sonntag den 28.6.2020
Predigt zu Kol 3, 12 - 13

Liebe Gemeinde,
normalerweise ist das ja der schon sprichwörtliche „schönste Sonntag im Jahr“…nämlich der Auftakt zu den großen Ferien. Dieser Sonntag ist verbunden mit dem Gefühl, das alte Schuljahr wieder zu Ende gebracht und die Arbeit erledigt zu haben. Dazu gehört der traditionelle Abiturgottesdienst und der fröhliche, aufgeregte Schlussgottesdienst bevor es die Zeugnisse gibt.

Auch wenn der heutige Sonntag den Auftakt zu den Ferien gibt…so rechte Ferienstimmung macht sich bei mir und vielen anderen aus dem Schulbereich nicht breit. Denn schließlich ist seit Mitte März nicht mehr so, wie es vertraut und bewährt war.

Als sich am 15.März herausstellte, dass die Schulen geschlossen werden und die Unterrichtsinhalte aber doch irgendwie vermittelt werden sollten, da entstand quasi über Nacht eine neue Schul- und Lernkultur. Anstatt mit 25 - 30 Kindern und Heranwachsenden im Klassenraum zu arbeiten, traf man sich fortan  im virtuellen Raum mittels des Internets Neue Begriffe machten schnell die Runde und waren Gegenstand der öffentlichen Diskussion:

E - learning.. Hybridlernen. Distanzlernen...Moodle, Teams, Zoom geistern als neue Heils - und Wissensbringer durch die bildungspolitische Landschaft und hinterlassen ihre Spuren. Plötzlich,  wie aus heiterem Himmel, musste das Lernen, das seit Jahrzehnten in verlässlich gleichen Spuren verlief, gleichsam über Nacht neu erfunden werden.

Und so versuchten wir Lehrer den durch Corona beschränkten Kontakt mit den SuS aufrecht zu erhalten, über die Distanz hinweg zu unterrichten und dem Bildungsauftrag auch über Entfernung hinweg näher zu kommen.

Was jetzt als Stein der Weisen gilt - Stichwort Digitalisierung - wird sicherlich in Zukunft mehr und mehr das Lernen und die Schule prägen. Digitales Lernen wird - da sind sich alle einig - das traditionelle Lernen zwar nicht ablösen, aber zumindest streckenweise ergänzen oder ersetzen.

E - learning.. Hybridlernen. Distanzlernen...Moodle, Teams, Zoom..ganz so neu ist das alles nicht. Denn schon vor 2000 Jahren funktionierte das ganz gut. OK…die Tools waren noch etwas anders…der Weg des Austausches etwas langwieriger und mühseliger: Aber dennoch weisen die Briefe des NT alle Merkmale auf, die heute die elektronischen Lernwege auszeichnen: Austausch von Fragen und Antworten…Lernimpulse…Abfragen..Korrekturen…Kommentare…ja selbst die beliebten Emoticons gab es als schriftliche Formulierung in den Briefen des Paulus und seiner Schüler so ähnlich auch schon.

Vor ziemlich genau 2000 Jahren wendet sich einer der Mitarbeiter des Apostel Paulus in einer Mail - auf Papyros handgeschrieben allerdings - an eine Stadt in der heutigen Türkei. Dort, in Kolossä am Mittelmeer, ist es unter den Anhängern der Jesusbewegung zu Zwistigkeiten gekommen. Nach Jahren der Euphorie, der religiösen Aufbruchsstimmung, des Erfolgs ist man mittlerweile auf dem harten Boden des Alltags angekommen. Fragen über Fragen stellen sich den Jesusanhängern, Probleme und schwelende Streitigkeiten vermiesen die einst gute Stimmung.

Daher wenden sie sich in dieser Krise an die Lehrer..an Paulus und seine Mitarbeiter. Sie senden eine Mail..schildern ihre Probleme..bitten um Rat. Paulus anaylsiert das Schreiben aus Kolossä, denkt nach, schickt eine Antwort über die gut funktionierende römische Post. Das Antwortschreiben des Paulus wird in Kolossä diskutiert, im Diskurs erörtet, Lösungsansätze erarbeitet und abgewogen.

Die Ergebnisse aus  der Gruppenphase gehen prompt auf dem Postweg zum Lehrer Paulus, der wiederum bespricht sich, schreibt eine weitere Antwortmail.

Hin und Her geht das Ganze - wie im Teamsgespräch über Internet in den letzten Wochen. Manches Schreiben ist bitter ernst..manche Antwort freundlich bestimmt - und das zu Recht: Schließlich geht es bei dem Austausch der Mails um nichts Weniger als den Zusammenhalt der Gruppe, die sich aus vielen unterschiedlichen Personenkreisen, Ethnien und religiösen Strömungen zusammen setzt.

Auf dem Höhepunkt der Krise - als die Situation in Kolossä aus dem Ruder zu laufen droht und eine Aufspaltung der Gemeinde droht - schreibt einer aus dem Pauluskreis ein Machtwort: Einen Satz, der ein für alle Mal Schluss machen soll mit allem Zwist, Gezänk und Streit.

Im 3. Kapitel des Kolosserbriefs heißt es

„ Liebe Leute aus der Stadt Kolossä: „Ihr wollt neue Menschen sein? Dann zieht nun wie eine neue Bekleidung alles an, was den neuen Menschen ausmacht: herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Bescheidenheit, Milde, Geduld. Ertragt einander! Seid nicht nachtragend, wenn euch jemand Unrecht getan hat, sondern vergebt einander, so wie der Herr euch vergeben hat.“

Was für ein Machtwort angesichts der Krise. Sanft und doch machtvoll angesichts des Konflikts. Und gleichzeitig ein deutlicher Hinweis auf unsere Krise in 2020. Denn die Coronakrise hat gezeigt, wie verletzlich unsere freiheitlich - demokratische Gesellschaft ist, wenn so viele in unterschiedliche Richtungen ziehen. Die Krise hat gezeigt, dass und wie jeder einzelne auf den Menschen an seiner Seite angewiesen ist: Wie abhängig wir sind von Gemeinschaft, Nähe, Mitmenschlichkeit im wahren Sinne des Wortes.

Daher ist die Mail, die Paulus damals schreibt, auch heute noch aktuell. Die Mittel, die er der kleinen Comunitee in Kolossä empfiehlt, haben bis heute nichts an Aktualität verloren. Herzliche Erbarmung, Freundlichkeit, Bescheidenheit, Milde und Geduld - das sind die altbewährten, aber doch ganz neuen Mittel, mit derer auch wir die Krise unserer Gesellschaft augenblicklich meistern. Komprimiert und übertragen auf heute heißt der entsprechende Begriff: Seid solidarisch miteinander, zeigt Solidarität.

Auf uns als Gemeinde übertragen heißt das: Wir machen nur kleine Gottesdienste mit wenigen Beteiligtenaus Verantwortung den Schwachen gegenüber. Wir sind freundlich zueinander - aber halten gebührend Abstand. Wir schauen hin, wo Menschen Hilfe nötig haben. Und wir haben - vor allen anderen Dingen! - Geduld. Diese alten Tugenden, die Paulus der Gemeinde in Kolossä ans Herz legt, haben ihre besondere Bedeutung in unserer besonderen Zeit. Unsere Gemeinschaft, unser Gemeinwesen, unser Land droht zu zerbrechen, wenn wir uns in der Krise ungeduldig, erbarmungslos, hochmütig verhalten. Der erneute, massive  Ausbruch in einzelnen Landkreisen macht mich demütig…zeigen die Ausbrüche doch, dass eine kleine, simple biologische Größe uns Menschen in die Schranken verweist…uns Menschen, die wir doch bis Mitte März meinten, alles auf der Erde und darüber hinaus beherrschen zu können. Wenn wir aber weiterhin bescheiden bleiben, Erbarmen zeigen, freundlich zueinander sind, Milde walten lassen und vor allen Dingen geduldig sind, dann wird auch dieser Schrecken einst Geschichte und ohne Schrecken sein. Dann wird - Gottsei dank - der Sonntag vor den Ferien im Jahr 2012 das wieder sein, was er schon immer war: der schönste Sonntag im Jahr. Gott behüte sie und ihre Nächsten bis dahin.

Pfarrer Ralf Herbertz