Denk mal! Im Juni 2023...

„Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.“ (Gen. 27,28)

Liebe Gemeinde,

das sind Worte, wie gemacht für den kommenden Sommer. Da ist die Rede von einer Fülle, die Bilder von reifenden Früchten und Feldern voller wogendem Weizen in meinen Sinn bringt. Menschen, die säen und ernten, die sich freuen am Wachstum und Gedeihen, die in Frieden beieinander wohnen und miteinander die Früchte genießen können. Es sind Worte, die den Bogen schlagen zum großen Erntedank, den wir im Herbst begehen. Ein Fest voller Dankbarkeit für alles Gute, das uns Gott im Leben erfahren lässt.

Dieser eine Vers schafft es, den ganzen Sommer mit seiner Fülle zu umfassen. Wie er das macht? Es ist das Geheimnis der dem Segen innewohnenden Kraft. Der Monatsspruch für den Monat Juni ist ein Segenswort mit allem, was dazugehört. Der „Tau des Himmels“ steht für Feuchtigkeit, die weder überschwemmt noch Zeiten der Dürre zulässt. Der Tau ist beständig, die Schöpfung hat Feuchtigkeit genug zu jeder Zeit. Das „Fett der Erde“ erinnert an die schwere, satte Ackerkrume, die gesunde und ertragreiche Früchte trägt. Mangel ist ihr fern. Und schließlich „Korn und Wein die Fülle“. Das weckt Assoziationen an ein Festmahl, lachende Menschen an einem Tisch, ein Klima, in dem gute Gespräche, Lieder, Freundschaft und Liebe wachsen und alles, was zu einem gelingenden Leben gehört. Ich denke an die Tischgemeinschaften Jesu, das Abendmahl, das er uns zur Stärkung hinterlassen hat. Und all das steht im Horizont des kommenden Reiches Gottes, bei dem Gott selbst als Gastgeber einlädt.

Sie merken es schon: Das Segenswort ist wie gemacht für uns und unsere Sehnsucht nach gesellschaftlichem wie globalem Frieden sowie einem guten Miteinander aller Menschen. Der Redlichkeit halber können wir allerdings den Monatsspruch nicht allein sehen, sondern müssen ihn im Kontext der biblischen Geschichte ansehen, aus der er genommen ist. Das ist übrigens ein gutes Mittel gegen die Versuchung einer oberflächlichen Betrachtung. Und wenn wir genau hinsehen, nimmt uns der Monatsspruch mit in die Tiefen der Jakobsgeschichte, die ich Ihnen gern als Sommerlektüre ans Herz legen möchte. Es mangelt nicht an Spannung, Familienkrisen, Lüge und Kampf. Alles in einer überschaubaren Anzahl von Kapiteln im 1. Buch Mose.

Das Segenswort ist der eine väterliche Segen, den Isaak an seinen Sohn Jakob gibt. Und es wäre so schön, wenn Jakob nicht zuvor bereits seinem Bruder Esau das Erstgeburtsrecht gegen ein Linsengericht abgeluchst hätte. Nun erschleicht er sich mit Hilfe der Mutter Rebekka den Segen des alten und blinden Vaters, der eigentlich für den Erstgeborenen vorgesehen ist. List, Lüge, Intrige und Betrug, wie sie heute nicht brisanter sein könnten.

Dieser Segen ist dem Bruder abgekauft und vom Vater mit beispielloser Skrupellosigkeit ergaunert worden. Es ist ein gestohlener Segen.

Hört er sich nun immer noch so schön an?

Gern würde ich das Unrecht, die Kränkung und Verletzungen, die mit seinem Erwerb verbunden sind, ausblenden. Jakob geht als „Sieger“ aus dem brüderlichen Konflikt hervor, und der Segen – einmal ausgesprochen – behält seine Wirksamkeit. Aber es bleibt ein „Geschmäckle“. Ich ertappe mich dabei, wie ich Esau mitfühlend zur Seite stehe und Isaak frage: „Hast du denn keinen anderen Segen für ihn?“ Und enttäuscht höre ich, was ihm noch übrigbleibt: ein Kämpfer wird er sein, der sich dereinst vom Joch des Bruders befreien wird.

Ist das gerecht? Wo ist in dieser Geschichte das, was wir gemeinhin „Gerechtigkeit“ nennen? Darüber ließe sich trefflich diskutieren und streiten. Aber alles an seinem Ort und zu seiner Zeit.

Für diesmal nehmen wir den Monatsspruch als Segenswort, das von Gottes Fülle spricht und freuen uns an der Verheißung, die Jakob und seinen Nachkommen gilt und allen, die im Bund mit Gott stehen.

„Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.“ (Gen. 27,28)

Ich wünsche Ihnen einen guten Sommer, körperliche Gesundheit und dass Sie die Fülle des Lebens genießen können!

Ihre Pfarrerin Dr. Yvonne Brunk